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Interview mit Klaus-Peter Walter zu „Sherlock Holmes und der Golem von Prag“

Klaus-Peter Walter studierte Slawistik, Philosophie und osteuropäische Geschichte. Seit 2008 schreibt Klaus-Peter Walter im Namen des Meisterdetektivs Sherlock Holmes. In seinem neuen Roman „Sherlock Holmes und der Golem von Prag“ verbindet er nicht nur diese beiden Interessen, sondern lässt auch den berühmten Sohn Prags Franz Kafka mit Sherlock Holmes zusammentreffen.


„Einige bohemienhafte Züge von Holmes erkenne ich bei mir selber manchmal wieder.“

Seit nunmehr zehn Jahren verfassen Sie Kriminalgeschichten. Auch immer wieder mit dem Ermittler Sherlock Holmes. Was verbindet Sie mit dem Meisterdetektiv?
Walter: Mr. Holmes und ich kennen uns wirklich schon sehr lange, aber uns verbindet mehr als nur das Literari-sche. Holmes und Watson stellen wohl zwei Seiten meiner eigenen Persönlichkeit dar. Nicht dass ich Kokain nehmen würde oder fiedeln könnte, aber einige bohemienhafte Züge von Holmes erkenne ich bei mir selber manchmal wieder, wie den unbändigen Drang zur Unabhängigkeit oder die Abneigung gegen Dogmatismus aller Art. Gleichzeitig verbindet mich aber auch vieles mit Dr. Watson. Ich war – wie er – Soldat, habe eine wissenschaftliche Ausbildung genossen und bin ein durch und durch bürgerlicher Mensch in jeder Beziehung.

Ihr Roman verknüpft Holmes mit dem Schriftsteller Franz Kafka. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Konstellation?
Walter: Mit Kafka habe ich mich früh, schon als Schüler, auseinandergesetzt. Allerdings stehen mir seine Figuren nicht wirklich nahe. Kafka würde heute wohl als Asperger-Patient gelten: hochintelligent, aber irgendwie sozial wenig kompetent und kaum bindungsfähig. Das zeigen schon seine legendären, durchweg verkorksten Frauengeschichten. Holmes, fand ich, ist dem nicht unähnlich, wenngleich sozial kompetenter und gesellschaftlich angepasster
Warum Holmes und Kafka? Nun, Holmes bildet eine äußerst flexible Projektionsfläche für kombinatorische Ideen aller Art. Conan Doyle ließ äußerste Diskretion walten und erwähnte nie einen Zeitgenossen seiner Figuren, gleich ob lebend oder tot. In den Pastiches dagegen wurde der Meister aus der Baker Street mit nahezu jeder möglichen Realperson zusammengebracht, die sich denken ließ: mit Sigmund Freud gleich mehrmals, mit Albert Einstein, mit Karl Marx, mit Rasputin, mit Karl Landsteiner, dem Entdecker der Blutgruppen, mit George Bernard Shaw, Bram Stoker und und und. Oder ihm wurden alle möglichen phantastischen Figuren der Weltliteratur gleichsam auf den Hals gehetzt. Der nachmalige Bond-Autor James Gardner stellte sogar Professor Moriarty in den Mittelpunkt zweier fiktiver Memoirenbände, und die BBC verpflanzte Holmes in die Gegenwart. Das funktioniert ebenfalls bestens. Es gibt also nichts, was es nicht gibt, und alles scheint zu gehen. Also warum nicht Holmes und Kafka?

Das Buch beginnt mit einer Geschichte, die durchaus aus K.s Feder stammen könnte. Auch der Stil des Romans selbst ähnelt verblüffend der Handschrift Arthur Conan Doyles´. War es für Sie eine Hürde, den eigenen Schreibstil dem eines anderen anzupassen?
Walter: Die angebliche Kafka-Story war vor allem anderem da. Sie geht zurück auf ein handschriftlich ausgefülltes Freifahrtschein-Formular aus dem Jahre 1895, das mir der Mann zeigte, der in der öffentlichen Bibliothek von Bitburg meine Fernleihen erledigt. Er ist Viaferratist, sammelt also Eisenbahn-Memorabilien aller Art. Das Formular aus seiner Sammlung wurde für den „landarmen Idioten Clemens Ruland“ ausgestellt, der sich ohne Rückfahrkarte in eine deutsche „Idiotenanstalt“ begeben musste. Das, fand ich, war schon echt kafkaesk, und ich schrieb eine an Kafka angelehnte Geschichte dazu. Damit hatte ich den Anfang meines Romanes. Erst kurz vor Abgabe merkte ich, dass sie gar nicht mit dem Rest des Textes in Verbindung stand. Daher verfasste ich einen Zusatz, mit dem sie zu einer gescheiterten Detektivgeschichte wurde. Die Begegnung mit Holmes brachte, so meine Fiktion, Kafka dazu, sich einmal als Kriminalschriftsteller zu versuchen. Allerdings ließ ich ihn sofort scheitern
Kafkas Stil zu imitieren habe ich hingegen gar nicht erst versucht. Nur an einer Stelle habe ich das Wort „weil-chenweise“ eingebaut, das Kafka ab und an verwendet. Sozusagen um eine kleine Spur zu legen und hoffe, dass sie kafkaesk genug ist, um meiner Fiktion Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Mich in die Schreibweise Doyles einzufinden, fand ich gar nicht so schwer. Ich habe sie lange genug studiert, auf Deutsch wie auf Englisch. Na, und ein bisschen Wolfgang Beltracchi steckt wohl auch in mir. Nur fälsche ich mit Worten, nicht mit Linien und Farben.
Natürlich habe ich flankierende Maßnahmen ergriffen und Bücher über das später 19., frühe 20. Jahrhundert gelesen, immer unter dem Aspekt: Wie tickt ein Viktorianer? Was isst er, wie benimmt er sich? Wie richtet er sich ein? Wen zitiert er, wenn er zitiert? Welche Laster hat er? Welche Vorlieben oder Träume? Allmählich, denke ich, komme ich ihm nahe, dem Viktorianer.

Was war für die Wahl der Goldenen Stadt als Schauplatz eher ausschlaggebend: der Ort oder die Sage des Golems?
Walter: Mein Roman spielt wie viele meiner Geschichten mehr in einem literarischen Raum als an einem konkreten Setting. Ich erfinde ein fiktives Stück Literaturgeschichte und erzähle die angeblich „wahre“ Motivgenese des Dramas „R.u.R.“, in welchem Karel Čapek den Begriff „Roboter“ in die Welt einführte. Wenn man Holmes mit Kafka konfrontieren will, kommt man um Prag nicht herum. Kafka gehört dort einfach zum Stadtbild. Außerhalb Prags ist er kaum vorstellbar, weder biographisch noch sprachlich. Und von Kafka zu Oberst Redl ist nur ein kleiner Schritt. Erst waren also die literarischen Motive da, dann die geographischen.

Sie haben Slawistik und osteuropäische Geschichte studiert. Inwiefern konnten Sie Ihr Wissen einfließen lassen?
Walter: Die politische Lage Europas im Jahr 1912 ist mir natürlich vertraut. Ich musste mich nicht erst kundig machen. Allerdings habe ich mir 2014 im heeresgeschichtlichen Museum in Wien Kanonen und ähnliches persönlich angeschaut, denn nichts geht über die eigene Anschauung. Und wenn sich Kafka und Holmes über Juden und Judentum unterhalten oder über deutsche Philosophie - da musste ich allenfalls mal eine Jahreszahl nachschlagen. Das war dank meines Doktorthemas – ich habe über russischsprachig-jüdische Autoren gearbeitet – nichts, was ich mir eigens hätte erarbeiten müssen. Der Roman ist also im Grunde die konsequente, allerdings nichtwissenschaftliche Fortsetzung der Kenntnisse, die ich mir auf der Uni angeeignet habe.

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