Interview mit dem Autor
„Bücher ohne Witz sind für mich witzlos“
Gisbert Haefs über seinen „Matzbach“, dass mit „ß“, Munkelrunkelmuhmen und Politik im Krimi
Guten Tag Herr Haefs. Ihre „Matzbach-Krimis“ erscheinen jetzt nach und nach exklusiv bei KBV. Insgesamt acht Wiederveröffentlichungen und zwei Neuerscheinungen. Alles in einem einheitlichen Layout – das lockt nicht nur Krimi-Sammler an. 1981 kam „Mord am Millionenhügel“ erstmals heraus, der jetzt neben „Und oben sitzt ein Rabe“ von 1983 bei uns die Reihe der Wiederveröffentlichungen beginnt. Was hat Sie damals bei der Konzeption des skurrilen Baltasar Matzbach besonders gereizt? Ist er sich treu geblieben?
Haefs: Er ist natürlich älter geworden, was aber weder seinen Sarkasmus noch seine intellektuelle Gaukelei mindert. Erfunden habe ich ihn irgendwann in den 70er Jahren, zunächst ohne Gedanken an Krimis. Viele Leute, mit denen ich damals zu tun hatte, waren jung, schlank, blond, dynamisch, braungebrannt und progressiv, also zum Kotzen; ihre heutigen Inkarnationen sind politisch korrekte Gutmenschen und Antiraucher. Matzbach war eine Art Gegenentwurf – verfressen, fett, belesen, sarkastisch.
„Finaler Rettungskuss“ ist nach Jahren ohne „Matzbach“ der erste neue Fall des Privatermittlers. Ohne zu viel zu verraten: Ein skurriles Personal, eine turbulente Handlung – für Freunde einer einsträngigen Erzählweise bei der Suche nach dem Whodunnit eher ungewohnte Kost. Sollte man unbedarfte Krimileser da nicht fast schon vor „Matzbach“ warnen?
Haefs: Na ja, warnen – wie? »Vorsicht, Lesensgefahr« oder so? Aber Krimis sind ja nicht alle nach den klassischen britischen Regeln gehäkelt; neben dem Whodunnit gibt es ja viele andere Varianten. Was Turbulenzen und Skurrilität angeht: In einem Buch darf durchaus etwas passieren, und Personal ohne Macken ist eher öde. Außerdem unrealistisch, da wir ja alle Macken haben; der »normale Mensch« ohne Macken ist eine überaus phantastische Fiktion. Ansonsten versuche ich, mich beim Schreiben zu amüsieren; wenn ich mich langweilte, würde ich sicher auch die Leser langweilen, und das überlasse ich gern anderen. Wie Matzbach sagte: »Das Leben ist zu kurz für schlechten Wein, billige Zigarren und jene Langeweile, die von der Kritik ›Literatur‹ genannt wird«
Es geht um Mord & Totschlag – aber auch um das Drumherum: Matzbach äußert sich zur Bankenkrise, zum Waffenhandel, das Schicksal von Kriegsveteranen, zurückgekehrt aus Afghanistan, spielt eine Rolle, die Taliban – und die Rechtschreibreform. Ihre Bücher sind bewusst in der alten Schreibung gesetzt, wenn auch nicht immer ganz regelkonform. Das müssen Sie uns erklären?
Haefs: Meine Sprache gehört mir, und ganz allgemein gehört die Sprache dem Volk, nicht irgendwelchen Bürokraten und Panschern, die Ende der 90er in einer Hinterzimmerkabale diese sogenannte Reform ausgeheckt haben. Ich habe mich nie brav an die alten Regeln gehalten und meinen Baltasar ohne th geschrieben; daß »in bezug auf« klein-, »mit Bezug auf« großgeschrieben werden sollte, war mir ebenso unerfindlich wie »Albtraum« mit p oder die Kleinschreibung von Sprachen – »er spricht [was? nicht: wie?] Französisch«, und wenn die betreffende Sprache nicht wie ein Adjektiv klingt, wird sie ja auch großgeschrieben: »Sie spricht Urdu/Latein/Hindi/Esperanto«. Dies zur alten Orthographie. Von den tausend Idiotismen der »neuen« Rechtschreibung sind nach mehreren Reformreformen sowieso nur noch ein paar übriggeblieben, und die kann ich prima ignorieren. Warum soll ich »Delfin«, aber nicht »Filosofie« schreiben oder bei »›Wie geht's?‹ sagte er« nach Fragezeichen und Abführung auch noch das Komma reinquetschen, das vor einem kompletten Nebensatz mit »und« gestrichen wurde? Alles ziemlich doof und nicht sehr furchterregend – nicht »sehr Furcht erregend«, da »sehr« nicht vor einem Substantiv stehen kann. Und der ganze Aufwand bloß, um nach kurzen Vokalen das ß abzuschaffen? Mon dieu!
Vieles in „Finaler Rettungskuss“ beweist: Sie sind kein Krimi-Autor, der sein Manuskript auf eine eventuelle Verfilmung hin plastisch, knapp konturiert und auf grobe Effekte hin konstruiert schreibt. Ihre Bücher scheinen für Krimi- und Sprach-Gourmets gemacht, beste Unterhaltung auf sehr hohem Niveau. Man kann sich „Finaler Rettungskuss“ gut als Hörspiel vorstellen, oder täuscht der Eindruck?
Haefs: Grundsätzlich ist ein Roman kein Drehbuch. Drehbücher (oder Dramentexte) zu lesen ist außerdem kein Vergnügen. Und Vergnügen sollte schon dabei sein, oder? In einem Roman von Joseph Heller gibt's einen Typen, von dem gesagt wird: »Er wußte alles über Literatur, außer, daß man sie genießen kann« Da in einem Buch zunächst mal alles Sprache ist – alle Charaktere sind »Wortmarionetten«, wie Stevenson sagte – sollte, finde ich, auch die Sprache unterhalten, nicht nur das, was von ihr transportiert wird.
Ihr Umgang mit den Jargons ist ausgesprochen kunstfertig. Ein Lesevergnügen! Wie recherchiert man eine so exakte Darstellung? Und nebenbei gefragt: Wo haben Sie die Sprachneuschöpfung „Munkelrunkelmuhme“ her?
Haefs: Das kommt so beim Spielen zustande. Anderes allerdings auch, wie zwei deplacierte Leichen im Umschlagtext, die der Autor verschusselt hat, nicht etwa der Verlag. Und was Jargon angeht: Die Personen können ja nicht alle gleich sprechen, das wäre öde. In der vorigen Frage steht das Stichwort »Hörspiel«; das ist vielleicht dadurch angeregt worden, daß ich mich bemühe, Dialoge sprechbar zu machen, in wörtlicher Rede Sätze nicht mit »doch« statt »aber« oder »denn« statt »nämlich« zu beginnen und den (im Buch fehlenden) Kommissar nicht fragen zu lassen: »Was taten Sie letzte Nacht?« sondern »Was haben Sie gestern Abend gemacht?«
Was aber keinesfalls zu kurz kommen darf: Ein Baltasar Matzbach, der zu Beginn von „Finaler Rettungskuss“ wie ein Wiedergänger aus dem Unterholz auftaucht – eine Anspielung auf die Rückkehr des Ermittlers nach Jahre langer Pause – ist ein bissiger Kommentator des politischen und wirtschaftlichen Geschehens. Da scheint der Old-school-Writer durch, der ein Buch auch hintergründig als Mittel zum Weltkommentar nutzt. Oder ist das übertrieben?
Haefs: Wir sind doch alle politische Wesen und erzählen einander, was wir von der Welt und den Vorgängen halten; warum sollte das bei einem Universaldilettanten und Hobbydetektiv anders sein? Und bei Ereignissen, die offenbar einen politischen Hintergrund haben, wäre es absurd, Politik auszublenden.
Und auch „Finaler Rettungskuss“ hat Real-Satirisches, humoristisches, fast schon klamottiges – bis hin zur ganz leicht ironischen Schlussszene nach dem „Showdown“: alles hart an der Grenze formuliert, aber eben genau auf dieser Grenze diesseits des Klamauks. Das Lachen bleibt einem da im übertragenen Sinne schon mal im Halse stecken. Ein bisschen Krimierfahrung braucht der Leser schon, um das genießen zu können. Jetzt machen Sie einem „Matzbach-Newcomer“ mal Mut – Ihre treuen alten Fans, für die der neue „Matzbach“ wahrscheinlich ein verfrühtes Weihnachtsfest ist, wissen ja Bescheid.
Haefs: Ich glaube, der Leser braucht nur die Bereitschaft, sich amüsieren und dabei nicht unterfordern zu lassen. Im Deutschen ist esprit ja immer noch ein Fremdwort, aber Bücher ohne Witz sind für mich witzlos. Die Matzbach-Romane sind – hoffe ich – funktionierende Krimis, die zugleich ihre eigene Parodie enthalten. Irgendwer kriegt bestimmt mal heraus, ob das postmodern oder präpostmodern oder sonst was ist; wenn Ihnen, lieber neuer Leser, diese Frage schnurz ist, weil Sie gut unterhalten werden möchten, dann – willkommen!
Gisbert Haefs auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Gisbert_Haefs
Bild Haefs: Meyer Originals