Jürgen Ehlers über Förstermörder, versteckte Dokumente und ungelöste Kriminalfälle
„Blutrot blüht die Heide“, Ihr neuester historischer Kriminalroman, ist ein ungewöhnliches Buch. Die Handlung spielt in Westpreußen, gegen Ende des I. Weltkriegs. Ein authentischer Fall liegt zu Grunde. Wie sind Sie auf die Idee für das Thema gekommen?
Ehlers: Meine erste Begegnung mit dem Fall hatte ich bereits als Kind. Meine Eltern hatten damals die Zeitschrift „Der Heidebote“ abonniert, und darin war in mehreren Folgen die Geschichte des Förstermörders abgedruckt. Damals war das für mich einfach nur eine spannende Geschichte. Später habe ich dann gedacht: Was für ein grotesker Fall! Warum um alles in der Welt ermordet jemand vier Förster?
Und wie haben Sie die genaue Geschichte recherchiert? Haben Sie Archive zur Verfügung gehabt?
Ehlers: In der vom Berliner Kriminalkommissar Ernst Gennat vor dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Zentralkartei für Mordsachen und Lehrmittelsammlung des Landesarchivs Berlin gibt es Unterlagen, aus denen sich nicht nur die polizeilichen Ermittlungen im Fall der Förstermorde rekonstruieren lassen, sondern auch typische behördliche Querelen, z.B. angebliche Unstimmigkeiten bei der Reisekostenabrechnung. Meine allererste Quelle, „Der Heidebote“, war bei der Recherche am schwierigsten aufzutreiben. Die Zeitschrift fand sich schließlich in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover. Da es kein Inhaltsverzeichnis gibt, hat die Bibliothekarin für mich freundlicherweise Heft für Heft durchgeblättert, bis sie den Text gefunden hatte.
Der Schauplatz, die Tucheler Heide im heutigen Polen, scheint auf Anhieb weit entfernt, doch wenn man in den Krimi hinein liest, wird die Gegend schnell vertraut. Die Details sind exakt beschrieben. Die Szenerie hat keine Exotik. Wie sind Sie bei der Recherche für das Setting vorgegangen?
Ehlers: Die Landschaft ist unverändert und im Internet in zahlreichen Fotos dargestellt. Dies gilt besonders für touristisch interessante Details wie den Großen Brahe-Kanal, die Steinkreise von Odry oder den Kalvarienberg von Wiele. Zu den aktuellen Quellen kommen Beschreibungen aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die alten Landkarten. Alle Messtischblätter aus der damaligen Zeit sind im Internet frei verfügbar.
Wie lange dauerten die Recherchen?
Ehlers: Da muss man zwei Phasen unterscheiden. Die eine ist die Zeit, in der ich über das Thema nachdenke, und die kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Die zweite Phase ist die, in der ich tatsächlich anfange, die Geschichte aufzuschreiben. Die dauert zwischen einem halben und einem dreiviertel Jahr.
Was fasziniert Sie an historischen Kriminalfällen besonders, wie entdecken Sie die Stoffe, sind das eher Zufälle oder gehen Sie systematisch vor?
Ehlers: Bei der Recherche für meinen ersten historischen Kriminalroman „Mitgegangen“ habe ich bei der Recherche in den Archivunterlagen eine faszinierende Entdeckung gemacht: Alle Zeugen lügen. Jeder hat mehr oder weniger triftige Gründe, bei einer Vernehmung nicht die volle Wahrheit zu sagen. Das erschwert die Arbeit der Polizei, aber das macht die Arbeit des Krimi-Autors reizvoller. Bei der Suche nach neuen Fällen gehe ich nicht systematisch vor. Zumindest nicht chronologisch. Allerdings spielt die Lebensgeschichte Kommissar Bergers eine wichtige Rolle. Da gibt es noch einige Lücken, die geschlossen werden müssen. Das ist Stoff für mindestens sechs weitere Bücher. Der nächste Fall, an dem ich jetzt arbeite, spielt 1939/40.
Was macht für Sie einen historischen Kriminalfall zu einem möglichen Thema für einen Kriminalroman?
Ehlers: Irgendein Aspekt, der bisher nicht beachtet worden ist. Bei „In Deinem schönen Leibe“ war es zum Beispiel ein krasser Fehler der Polizei, die übersehen hat, dass eines der verschwundenen Kinder noch am Leben war. Bei „Blutrot blüht die Heide“ ist es die Verteufelung des Täters in allen mir vorliegenden Bearbeitungen, die meines Erachtens den historischen Umständen nicht gerecht wird.
Welche bedeutsame Straftat – bisher ohne literarische Bearbeitung - aus der jüngeren deutschen oder europäischen Geschichte würde Sie zur Zeit besonders für einen kriminalliterarischen Bearbeitung reizen?
Ehlers: Bedeutsame Straftaten ohne literarische Bearbeitung sind selten. Einer der faszinierendsten Fälle in Hamburg sind sicherlich die „Trümmermorde“ von 1947. Vier Tote innerhalb von vier Wochen, und keiner davon identifiziert. Zwei Frauen, ein alter Mann, ein kleines Mädchen, alle nackt. Der Täter wurde nie gefunden. Den Fundort der dritten Leiche kann ich von meinem Arbeitsplatz aus sehen. Aber diesen Fall hat gerade ein Kollege (Cay Rademacher) sehr überzeugend bearbeitet, so dass Kommissar Berger sich wohl ein anderes Betätigungsfeld suchen muss.
Hauptberuflich arbeiten Sie seit Jahrzehnten beim Geologischen Landesamt in Ihrer Heimatstadt Hamburg. Hand aufs Herz: Ihr Verlag, der KBV, sitzt in Hillesheim in der Vulkaneifel. Hier wie drum herum ist – erdgeschichtlich gesehen – der Vulkanismus gerade seit gestern erloschen oder inaktiv. Für wie wahrscheinlich halten Sie einen erneuten Vulkanausbruch zwischen dem Laacher See und dem Eichholzmaar, dem kleinsten Maar in Rheinland-Pfalz?
Ehlers: Einen neuen Vulkanausbruch in der Eifel halte ich für sehr wahrscheinlich. Das Vulkanfeld ist nicht erloschen, es ruht nur. Es hat in seiner Geschichte mehrfach für zehntausende von Jahren geruht und ist dann plötzlich wieder ausgebrochen. Es besteht zwar kein unmittelbarer Anlass zur Sorge, aber in ein paar tausend Jahren sollte man vielleicht doch sicherheitshalber den Verlagssitz woanders hin verlagern.
Website des Autors: www.juergen-ehlers.com/de/
JÜRGEN EHLERS
Blutrot blüht die Heide
Historischer Kriminalroman
Taschenbuch - 340 Seiten
ISBN 978-3-942446-67-9
9,90 Euro