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„Selbstjustiz ist auf dem Land häufiger als in den Städten“

Cornelia Kuhnert und Richard Birkefeld zu „Tatorten“ zwischen Heide, Harz und Hackebeil

Frau Kuhnert, Herr Birkefeld, schon 2011 haben Sie in der Reihe MORDLANDSCHAFTEN „Niedertracht in Niedersachsen“ herausgegeben. Nun folgt mit „Heide, Harz und Hackebeil“ schon der 2. Sammelband mit Kurzkrimis aus dem Bundesland, deren Einwohner sich stolz als „Sturm erprobt und erdverwachsen“ bezeichnen. Hat der Niedersachse an sich eine besondere Affinität zu literarischem Mord & Totschlag?

Kuhnert/Birkefeld: Natürlich – das manifestiert sich bereits im Niedersachsenlied, das Sie gerade zitiert haben:  „Auf blühend roter Heide/ Starben einst vieltausend Mann/ Für Niedersachsens Treue
Traf sie des Franken Bann./ Viel tausend Brüder fielen/ Von des Henkers Hand.“
Schon seit der Römerzeit, also weit vor Karl dem Großen, Widukind und den Sachsenkriegen, beschäftigt sich der Niedersachse mit blutigen aufrührerischen und kriminellen Aktivitäten in allen Regionen seines Landes. Die Einheimischen, die ja teilweise extrem karge und unwirtliche Landschaften bevölkern, sind von jeher nicht nur hart im Nehmen sondern auch im Geben. Dass sich derartige kulturhistorische Prägungen und Gewalterfahrungen auch literarisch niederschlagen, liegt doch auf der meuchelnden Hand. „Niedertracht in Niedersachsen“ ist nur die logische und erste Fortsetzung dessen, was im frühen dritten Jahrhundert unter Maximus Thrax am Harzhorn bei Kalefeld/Northeim begann und von Herodian besungen wurde: Mord und Totschlag in unserem heutigen Bundesland. Heide, Harz und Hackebeil führt diesen niederträchtigen Ansatz nur konsequent weiter.

Einerseits die Lüneburger Heide, andererseits das gesamtdeutsche Mittelgebirge Harz – beides wird zum Schauplatz einiger Kurzkrimis. Wie kam es zu der ungewöhnlichen geografischen Auswahl?

Kuhnert/Birkefeld: Niedersachsen hat als zweitgrößtes Flächenland der Bundesrepublik vier große touristische Regionen, das ist 1. Ostfriesland (dafür ist unsere charmante Kollegin Regine Kölpin als Herausgeberin verantwortlich)  mit den vorgelagerten Inseln (darum kümmern sich unsere ebenfalls sehr charmanten Kolleginnen Christiane Franke und Sandra Lüpkes als Herausgeberinnen), 2. die Lüneburger Heide, 3. der Harz und 4. ein Landesteil, der demnächst in Angriff genommen, hier aber aus verständlichen Gründen noch nicht genannt werden soll. Diese Landesteile sind gewissermaßen die Hot Spots des regionalen Tourismus, traditionell begehrte Kurbetriebe, Urlaubs-, Ferien- und Ausflugsziele, insofern geradezu prädestiniert für die kriminalliterarische Umwandlung so mancher Kur- in Tatorte, um die zahllosen Gäste und Besucher mit spannendem und lokalbezogenem Lesestoff zu versorgen.

Was faszinierte die 23 Autoren, sich vergleichsweise unbekannten Orten wie Bienenbüttel, Bodetal oder Bad Grund kriminalliterarisch zu widmen?

Kuhnert/Birkefeld: Die meisten der Autoren kommen oder wohnen in Niedersachsen, teilweise sogar in unseren Zielgegenden, wenn nicht sogar in den Orten, die sie behandeln und in denen sie sich bestens mit Land und Leuten auskennen. Ihr persönliches Schicksal verschlug sie halt nicht in die Metropolen des niedersächsischen Tourismus’, sondern zwang sie, in den Randgebieten von Heide oder Harz ihr karges Dasein zu fristen, Langeweile und Frust zu schieben… Nein – im Ernst – jedes Kind in Niedersachsen lernt allein durch die Schulwanderungen besonders Heide und Harz kennen, verbindet ganz persönliche Erfahrungen mit einer Vielzahl von Orten und Gegenden in diesen Regionen. Was für das übliche Deutschland unbekannte Orte sein mögen, sind für uns Niedersachsen Perlen des Fremdenverkehrs wie z.B. das Bodetal – der Grand Canyon des Harzes. Für Kenner eines der schönsten Gebiete dieses so romantischen Mittelgebirges. Mit Bienenbüttel, dem El Paso der Heide, verhält es sich ähnlich…

Andererseits tauchen Schauplätze in Quedlinburg, Goslar oder Lüneburg auf. Gibt es von den „Tatmotiven“ her gesehen eigentlich ein Stadt-Land-Gefälle in Ihrer Kurzkrimisammlung?

Kuhnert/ Birkefeld: Nicht wirklich – aber grundsätzlich ist zu konstatieren, dass Fälle der Selbstjustiz in ländlichen Gegenden häufiger anzutreffen sind, als in den Städten. Während in den urbanen Räumen neben der Schwerkriminalität auch die Straßenkriminalität eine Rolle spielt, dominiert auf dem Dorf die Beziehungstat, weil die genervte Landfrau doch häufiger dazu neigt, ihren oft nur nörgelnden, missmutigen oder lediglich geizigen Ehemann auf vorsätzliche und heimtückische Art zu entsorgen. Wenn sich also ein Unterscheidungsmerkmal im Stadt-Land-Gefälle herauskristallisieren dürfte, dann die Tatsache, dass die Lebenserwartung grantelnder Ehegesponste auf dem Lande bedeutend niedriger ist, als im städtischen Bereich. Das gilt für Heidjer und Harzer Waldbauern gleichermaßen.

Was hat bei ihren Kollegen dominiert? Die Vor-Ort-Recherche, dann die Krimi-Handlung, oder war zuerst die Geschichte, dann die Suche nach der „geeigneten Umgebung“?

Kuhnert/Birkefeld: Teil –teils! Einige der Kollegen, wie bereits oben erwähnt, lassen die Geschichten gewissermaßen vor ihrer Haustüre spielen, andere kramten in ihren Erinnerungen an die Orte, die sie irgendwann einmal in ihrem Leben besucht hatten und andere wiederum sind extra angereist, um sich vor Ort ein Bild machen zu können. In welcher Reihenfolge und durch welche Auslöser oder Anreize nun die einzelnen Plots zu den Geschichten entstanden sind, bleibt ein ewiges Rätsel in der Kriminalliteratur. Wir als Herausgeber wissen nur eines: Die Sache endet meistens tödlich…

Wie war die Reaktion der Touristiker zwischen Heide und Harz, als sie erfuhren, dass ihre „Ecke“ zum „Schauplatz“ wurde? Begeisterung allenthalben bei den Image-Verwaltern?

Kuhnert/Birkefeld: Der Niedersachse kann, wie wir bereits gelesen haben, manchmal niederträchtig sein, hat aber im Allgemeinen einen sehr ausgeprägten Humor. Herr Birkefeld hat vor mehreren Jahren mal in der Ausstellung „50 Jahre Niedersachsen“ mitgearbeitet und einen Aufsatz über die skurrilsten Superlativen des Landes verfasst, die teilweise ans Wahnsinnige und nicht gerade Tourismusfördernde grenzten. Aber schon damals zeigten die zuständigen Verkehrsbüros humorvolles Verständnis und unterstützten die Veröffentlichung mit weitergehenden Informationen. Sie wissen einfach, dass den Schönheiten und Sehenswürdigkeiten unseres Landes so ein wenig Grauen, Gruseln und kriminelle Aktivitäten nichts anhaben können, zumal sie den Unterschied zwischen den Realitäten und einer fiktiven Handlung durchaus zu unterscheiden wissen. Manchmal jedenfalls… (und von den Morddrohungen an Kollegen Jörg Borgerding einmal abgesehen).

Sind schon erste Autorenlesungen geplant?

Kuhnert/Birkefeld: Ja – schon fast traditionsgemäß stellen wir nach Erscheinen das Buch bei Lehmann’s in Hannover vor. Diesmal haben wir dazu Annette Petersen, Jörg Borgerding und Zoe Beck eingeladen, die mit ihren großartigen Geschichten zur Premierenlesung beitragen werden. Erfahrungsgemäß folgen dann auch die Veranstaltungen mit den jeweiligen Autoren in den entsprechenden Tatorten.

Hand aufs Herz: jetzt ist Niedersachsen aber regionalkrimimäßig abgedeckt?

Kuhnert/Birkefeld: Keineswegs! Unser großflächiges Bundesland besticht durch Natur- und Kulturlandschaften, Regionen, Menschenschlage und Sehenswürdigkeiten, die bundesweit nach ihresgleichen suchen: Wir sagen nur Elm, Wendland, Ammerland, Calenberger Land, Eichsfeld, Emsland, Oldenburger Land, Osnabrücker Hügelland, Deutsche Bucht, Geest und Börde – um nur einige zu nennen. Und überall dort lauert neben den vielfältigen regionalen Besonderheiten auch das besonders Böse und wartet nur darauf, von uns angestiftet zu werden.

CORNELIA KUHNERT  & RICHARD BIRKEFELD (Hg.)
Heide, Harz und Hackebeil
Taschenbuch
320 S.
ISBN 978-3-942446-77-8
9,90 Euro


Premierenlesung: Dienstag, 05.03.2013

CORNELIA KUHNERT, RICHARD BIRKEFELD, ZOÉ BECK,
ANNETTE PETERSEN, JÖRG BORGERDING

HEIDE, HARZ UND HACKEBEIL
Buchhandlung Lehmanns, Hannover
Beginn: 20.30 Uhr

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