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„Kommen Sie vorbei und wandeln Sie auf den Spuren der Täter und Opfer!“

Petra Steps über das „mörderische Vogtland“, Kleinstdörfer, Grenzüberschreitendes und neue Sichtweisen


Guten Tag Frau Steps, das sächsische Vogtland mitsamt der Nachbarregionen als Thema einer Kurzkrimisammlung: ein ehrgeiziges Projekt. Wie kam es zu der Idee?

Steps: Ein herzlicher Gruß zurück und danke für das Lob. Wenn man sein ganzes Leben im Vogtland verbracht hat, findet man das Projekt wahrscheinlich gar nicht so ehrgeizig, sondern eher folgerichtig. Ich organisiere für den Förderverein Schloss Netzschkau seit 2007 Krimitage im Vogtland, jetzt als KrimiLiteraturTage mit Schwerpunkt Krimi. Dabei ist mir aufgefallen, dass es nur wenige Kurzkrimis aus der Region gibt, die Gäste aber gerade die literarische Verbindung  zu  den Veranstaltungsorten schätzen und lieben.

Während viele unter Vogtland nur den sächsischen Vogtlandkreis verstehen, begreift sich die Region zunehmend in ihrer historischen Vernetzung. Es existieren länderübergreifende Projekte im Rahmen der Europaregion Euregio Egrensis, die noch etwas größer als das Vogtland ist. Tourismusverbände aus Sachsen und Thüringen arbeiten zusammen, es gibt einen Städteverbund, der sächsisch-vogtländische Orte mit dem thüringischen Greiz vereint. Spätestens seit dem Mauerfall und seit Schengen sind das bayrische Vogtland und der tschechische  Winkel noch weiter an Sachsen und Thüringen herangerückt, als es die historischen Karten ohnehin schon zeigen. Die Regionen sind auch heute  eng verbunden, und wenn es durch den unter dem Vogtland und dem angrenzenden Egerbecken brodelnde Vulkan ist, der immer wieder grenzübergreifende Schwarmbeben auslöst. Was lag also näher, als das Vogtland auch in kriminell-literarischer Hinsicht zusammenzuführen?


Dieses Vier-Ländereck ist geschichtsgesättigt wie wenige im vereinten Deutschland. Deutsch-deutsches Grenzgebiet, auf alten DDR-Karten aus Angst vor Republikflüchtlingen nur lückenhaft dokumentiert. Mit der „Spitzenstadt“ Plauen, eine der „Geburtsstädten“ der gewaltlosen DDR-Revolution, der berühmten Göltzschtal-Brücke aus Ziegelstein, dem Musikwinkel zwischen Klingenthal und Markneukirchen, aber auch bekannten Kurorten wie Bad Elster oder auf westböhmischer Seite das berühmte „Bäder-Dreieck“ aus Franzensbad, Marienbad und Karlsbad, dem nahen Cheb/Eger nahe dem „Ascher Ländchen“ – und sogar dem oberfränkischen Hof. Wie schafft man es, diese Mischung den Autoren nahe zu bringen? Nur wenige kommen ja direkt aus dem Vogtland oder leben sogar hier?

Steps: Es freut mich, dass Sie so viel über das Land der Vögte wissen, denn „Vogtland“ ist ein Verwaltungsbegriff, der das einst von den Vögten verwaltete Land umfasst, nicht etwa ein Mittelgebirge wie das benachbarte Erzgebirge. Es ist auch kein Land im Sinne eines Bundeslandes, auch wenn sich manche Vogtländer ihre „autonome Gebrigsrepublik“ manchmal wünschen. Viele können mit „Vogtland“ nichts anfangen. Das merken wir immer, wenn wir mit unseren V-Kennzeichen unterwegs sind. Dabei haben Sie in Ihrer Aufzählung noch viele wichtige Orte vergessen, die man in der Anthologie findet, zum Beispiel das Netzschkauer Schloss als Ausgangspunkt des kriminell-literarischen Geschehens. Ohne den dortigen Förderverein gäbe es keine Krimitage im Vogtland  und damit auch die Anthologie nicht.
Es war nicht sehr schwer, Autoren für das Projekt zu begeistern, denn so gut wie alle Teilnehmer  haben während unserer Krimitage in der Region gelesen und kannten mich als Projektorganisatorin. Durch ihre Auftritte waren sie natürlich auch im Vogtland unterwegs. Vier der Autoren haben ihren Lebensmittelpunkt im Vogtland, mit Manfred Köhler einer sogar im bayrischen Vogtland, das freut mich besonders. Bettine Reichelt hat zumindest vogtländische Wurzeln. Jürgen Ehlers ließ sich in die Plauener Unterwelt entführen und die Schönheiten zeigen, Nina George kommt immer wieder gern zu uns, Kai Hensel wollte ein ganz anderes Thema bearbeiten, hat aber bei seiner Recherche-Tour mit dem Fahrrad die Margarinefabrik in Gera entdeckt. Tatjana Kruse oder Christian Klier haben  sogar Erlebnisse der Krimitage verarbeitet. Tessa Korber war so begeistert vom Projekt, dass sie ihren anderswo geplanten  Kurzurlaub nach Selb verlegte, um sich dort nach ihrem Tatort umzuschauen.


Und die Kolleginnen und Kollegen haben dann vor Ort recherchiert?

Steps: Ja natürlich waren alle vor Ort. Dabei gab es auch ein paar lustige Sachen. Regine Kölpin hatte am Vormittag nach ihrer Lesung Zeit für die Recherche. Just an diesem Sonntagvormittag fand im Reichenbacher Neuberin-Museum eine Ausstellungseröffnung statt. Sie geriet zufällig in die Gesellschaft, die auch noch einen runden Geburtstag des Künstlers feierte. Dabei erhielt sie Gelegenheit, das sonst um diese Zeit geschlossene Museum zu besichtigen und lernte die als „Vogtland-Traudel“ bekannte Reichenbacherin kennen, die sie auch nach der Heimreise mit Informationen unterstützte. Der Kontakt besteht heute noch. Christian Klier hat ein Stück seiner Fahrt dokumentiert, nach der ihm der Name Oberlosa im Kopf herumgeisterte. Das Dörfchen ist einer der kleinsten Orte in der Anthologie, nur noch von Unterhartmannsreuth unterboten.
Die Autoren haben nicht nur allseits bekannte Orte kriminalisiert und ich habe erst einmal nachgefragt, wie man denn auf solche Nester kommt. Im Fall von Christian Klier war es tatsächlich nur ein Hinweisschild. Wie Nina George die vogtländische Mentalität ihrer Antiquitätenverkäuferin so treffend hinbekommen hat, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben. Der Kurzkrimi enthält ein vogtländisches Wort, das ich nicht kannte, das mir aber seitdem immer wieder begegnet ist.

Besonders häufig ist Reichenbach in der Kurzkrimisammlung vertreten. Hat der Ort etwa eine gewisse „Mords-Tradition“?

Steps: Ich glaube, Reichenbach ist nicht mehr und nicht weniger kriminell als vergleichbare Kleinstädte, obwohl sich in der 800-jährigen Geschichte allerhand angesammelt hat – Brandstiftung, Mord, Totschlag, Hinrichtungen und sogar ein Bürgermeister, der mit der Stadtkasse durchgebrannt ist.  Diese Neigungen scheinen irgendwie nachgelassen zu haben, denn an Stelle des einstigen Gefängnisses steht heute das moderne Gebäude der Stadtwerke und im Polizeirevier erinnert nur noch wenig an das ehemalige Amtsgericht. Ich wohne zwar im Netzschkauer Ortsteil Lambzig, bin aber Reichenbacherin, schon deshalb gehört die Stadt zu meinen beliebten Veranstaltungsorten. Ich denke, das haben die Autoren mitbekommen. Mit Reichenbach hatten die meisten Autoren irgendwie  Berührung, und wenn es auf dem Bahnhof war. Eine ähnliche Rolle spielt die heimliche Vogtlandhauptstadt Plauen, auch wegen der Zuganbindung. Oder wegen der kriminellen Vergangenheit mit dem „Würger von Plauen“ und dem „Prostituiertenmörder“, die hier aktiv waren.  Solche Orte vertragen mehr als einen Kurzkrimi!


Und am Ende der Arbeit: Wie hat sich Ihr Blick auf das Vogtland als Herausgeberin der fertigen Kurzkrimisammlung verändert?

Steps: Mein Blick hat sich auf jeden Fall geweitet. Ich habe während der Arbeit am Buch festgestellt, dass wir noch viel mehr geeignete Orte haben, die eine kriminelle Fixierung verdienen. Einem zweiten Band steht also zumindest von dieser Seite her nichts im Wege. Durch die Kurzkrimis hat sich auch das Spektrum unserer Krimitage verändert und bewegt sich nach  Sachsen und Thüringen erstmals in Richtung Bayern. Damit führen wir zumindest die drei deutschen Teile des Vogtlandes zusammen, in der Anthologie sind es alle vier. In Richtung Böhmen gibt es leider ein paar Sprachbarrieren. Mit dem Wissen um die kriminellen Stories ist das Vogtland für mich noch reicher geworden. Kommen Sie her und wandeln Sie auf den Spuren der Täter und Opfer!


PETRA STEPS (Hg.)
Gauner, Geigen, Griegeniffte
Kurzkrimis aus dem Vogtland
Taschenbuch
320 S.
ISBN 978-3-942446-79-2
9,90 Euro

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